Verfasst von: Reiner Langwald | 10. März 2024

Unsere Furcht ermutigt Wladimir Putin

Kann Deutschland zur Kriegspartei werden? Oder besser gefragt, wie werden wir es nicht? Im Gegensatz zum Juristen Olaf Scholz weiß das in seinem Volk niemand so genau. Manche fürchten, dass schon ein in Odessa urlaubender Bundeswehrsoldat eine bewaffnete Gegenwehr der Russen rechtfertigen würde, andere glauben, dass selbst eine von Ukrainern auf Moskau abgefeuerte deutsche Rakete noch keinen russischen Angriff auf Deutschland rechtfertigen würde. Nicht einmal die UN kann genau sagen was eigentlich gilt. Sicher ist völkerrechtlich nur: Nach dem Briand-Kellogg-Pakt von 1928 und dem Gewaltverbot der Charta der Vereinten Nationen gibt es nur für den reinen Verteidigungskrieg eine grundsätzliche rechtliche Grundlage. Und Kriegspartei wird man, so die Völkerrechtler, nicht weil man es sein will oder dies so deklariert, sondern nur durch einen realen bewaffneten Angriff auf ein anderes Land. Selbst wenn die Ukraine einen Taurus auf russisches Gebiet schießen würde, was Scholz offenbar nicht ausschließen will, würde dies völkerrechtlich keinen russischen Gegenschlag auf Deutschland rechtfertigen, solange keine deutschen Soldaten in der Ukraine wirklich kämpfen.
Stefan Talmon, Professor für Internationales Recht an der Uni Bonn und in Oxford, hält indessen die ganze Diskussion über Kriegspartei oder nicht für Quatsch: „Die Fixierung der Debatte auf die Rechtsstellung als Kriegspartei führt in die Irre. Weder wird Deutschland durch Waffenlieferung und Ausbildung zur Kriegspartei, noch würde allein aus dem Status als Kriegspartei ein Recht zur Gewaltanwendung gegen Deutschland erwachsen. Es mag politische Gründe geben, der Ukraine in ihrer schwersten Stunde die nötige militärische Unterstützung seitens Deutschlands zu versagen – das Völkerrecht sollte hierfür jedoch nicht missbraucht werden.“
Deshalb sollte man es Scholz noch deutlicher sagen: Wir werden nicht zur Kriegspartei, wenn wir der Ukraine alle erforderlichen Waffen liefern. Doch wir müssen angesichts der imperialen Gelüste Putins selbstverständlich Partei für dieses Land ergreifen, denn es geht letztendlich auch um unsere Freiheit. Ob wir für den Kremlherrn gegnerische Kriegspartei sind, entscheidet allein dieser russische „Gosudar“ (государь, souveräner Herrscher). Putin schert sich dabei nicht um das Völkerrecht, versucht allerdings immer, seinen Entscheidungen mit verdrehten Tatsachen und sogar offensichtlichen Geschichtsfälschungen einen legitimen Anstrich zu geben. Neuerdings deklariert er seinen Überfall auf die Ukraine sogar als Kampf gegen Nazismus in ganz Europa. Ein weitgehend faschistischer Herrscher beschuldigt die Demokratien des Faschismus. Grotesker geht es kaum noch. Für ihn ist der demokratische Westen immer schon Kriegspartei. Vor allem innenpolitisch deklariert er seinen hybriden Krieg mit absurden Behauptungen als Verteidigungskrieg Russlands. Völkerrechtlich gilt aber nur: Russland wurde durch seinen Überfall auf die Ukraine Kriegspartei und die Ukraine wurde es unfreiwillig durch den Zwang zur völkerrechtlich erlaubten Verteidigung. Alle anderen mehr oder minder Beteiligten, ob Russlands Waffenlieferanten China, Nordkorea und Iran oder das noch stärker involvierte und von Putin längst mitregierte Belarus gelten ebenso wenig als Kriegspartei wie die westlichen Waffenlieferanten. Nicht dieser Status entscheidet, ob Putin weitere Länder angreift, sondern nur deren für ihn sichtbare Stärke oder Schwäche. Je ängstlicher, uneiniger und schwächer wir Europäer ihm erscheinen, desto eher wird er versuchen, sein Reich mit „Spezialoperationen“ auszudehnen. Und die unübersehbare Angst des Bundeskanzlers vor einer Eskalation wird ihn zu eben solchen Eskalationen eher ermutigen. Also geben wir der Ukraine endlich alles was sie braucht, um sich erfolgreich gegen Putin zu verteidigen und stärken wir unsere europäischen Streitkräfte so, dass Putin jeden weiteren Überfall auf ein anderes Land für Selbstmord halten muss.

Verfasst von: Reiner Langwald | 4. März 2024

Putin achtet keine Regeln

Man fragt sich zwar erstaunt, warum führende Offiziere ein so hochbrisantes Thema wie einen Einsatz des Marschflugkörpers Taurus über eine normale Telefonschaltung diskutierten und dabei prompt von den Russen abgehört wurden. Aber das ist nur ein, wenn auch sicherheitsrelevanter Nebenbereich. Denn die Russen hören alles ab, nicht nur unsere amateurhaft gesicherte Bundeswehr, weshalb sie aus dem Gespräch vermutlich auch nichts Neues erfahren haben. Neu ist nur, dass der Kreml das Abhörprotokoll so offensiv präsentiert hat, also einen bestimmten Zweck damit verfolgen wollte.
Falls diese Aktion unseren Kanzler einschüchtern sollte, ist das offenbar gelungen. Scholz bekräftigte in einem typischen Scholz-Statement, dass er eine Taurus-Lieferung weiter ablehne. Nur, seine Begründung war wenig überzeugend, weil sie von den Offizieren bereits durchlöchert worden war: Für einen Einsatz der Taurus brauche es nach ihrer Ansicht nicht unbedingt deutsche Soldaten in der Ukraine.
Scholz fürchtet vor allem, dass Deutschland mit allzu wirksamer Waffenhilfe zum Kriegsteilnehmer werden könnte und er vertraut augenscheinlich auch nicht den Zusagen Kiews, mit der Taurus nicht nach Russland zu schießen. Doch er übersieht, dass wir und der ganze Westen für Putin längst Kriegspartei sind. Ihn interessieren die wenigen völkerrechtliche Kriterien oder Maßstäbe nicht im Geringsten und er formuliert seine Vorstellungen ohne jede Rücksicht auf Fakten oder gar feststehende Wahrheiten. Völkerrecht achtet er nur, wenn es ihm nützen kann. Für ihn macht uns nicht unser Tun zur Kriegspartei, sondern allein seine Entscheidung. Und die wird allein vom Risiko bestimmt, das damit für ihn verbunden ist. Das Baltikum hat er nur deshalb nicht angegriffen, weil dies zu einem für ihn aussichtslosen Krieg gegen die Nato führen würde. Auch wenn er die vor der „Spezialoperation“ offenbar überschätzte Schlagkraft seiner Armee inzwischen richtiger bewertet und deshalb massiv aufrüstet, hätte diese Armee gegen die 31 Nato-Länder langfristig keine Chance.
Innenpolitisch kommt hinzu, dass die überraschend große Zustimmung für den Kriegsgegner Boris Nadeschdin und den ermordeten Putingegner Alexej Nawalny offenbar auch den Kreml überrascht hat. Es wurde sichtbar, dass ein wesentlich größerer Teil der Bevölkerung Putins Alleinherrschaft, seine korrupte Elite und seine Kriege ablehnt. Besonders ein großer Teil der gebildeteren Bevölkerung stellt sich die Zukunft ihre Landes nicht als imperiale und von allen gefürchtete Weltmacht vor.
Allerdings stehen besonders die außerhalb der Städte lebenden russischen Menschen noch immer unter dem Einfluss der von Zaren, Bolschewiken und Putin betriebenen imperial-nationalistischen Gehirnwäsche. Putin muss allerdings fürchten, dass selbst in entfernten Provinzen durch das Internet sichtbarer wird, dass die dortige Lebensweise noch der des vorigen Jahrhunderts gleicht. Wohl deshalb hat Putin auch in seiner jüngsten Rede an die Nation versprochen, das Leben der Menschen massiv zu verbessern. Allerdings ohne zu sagen, wie er das erreichen und bezahlen kann.
Aber auch ein Blick auf das demokratische Europa stimmt jene Menschen, die ihre Freiheit durch Russland bedroht sehen, nicht gerade optimistisch. Sie erleben gerade, dass die von den EU-Regierungen anfangs so einmütig beschworene große Hilfe für die Ukraine bei weitem nicht so groß ist. Ohne die rund 100 Milliarden der USA, Deutschlands und Großbritanniens wäre die Ukraine längst am Ende gewesen. Die Hilfen anderer großer Länder wie Frankreich, Italien, Spanien und Griechenland waren eher überschaubar. Und die Hilfsbereitschaft leidet überall immer mehr unter vielen nationalen Interessen.
Offenbar haben die meisten Regierungen noch immer nicht begriffen, dass im Kreml nach ganz anderen Maßstäben agiert wird: Die russischen Verluste in zwei Jahren Krieg zeigen, dass Putin und seinen Helfern die Menschenleben nichts bedeuten, natürlich mit Ausnahme des eigenen.

Verfasst von: Reiner Langwald | 25. Februar 2024

Rundfunkgebühren steigen

Die Rundfunkgebühren sollen auf monatlich 18.94 Euro steigen. Das ist ärgerlich. Nicht weil die zusätzlichen 58 Cent eine zu große Belastung wären, sondern weil die Programme von ARD und ZDF dieses Geld insgesamt nicht wert sind. All die Wiederholungen wie die Rosenheim Cops mit Deutschlands dümmsten Kommissaren, die Uralt-Tatorte, die mehr private soziale Probleme ihrer Protagonisten als spannende Polizeiarbeit zeigen, die ebenso alten Folgen von „Bares für Rares“ mit den nervtötenden Sprüchen des „Ich bin der Horst oder Herr Lichter“ oder die angeblichen deutschen TV-Komödien, die an den alten Witz über das Europäische Paradies (deutsche Technik, französisches Essen, englischer Humor) und die europäische Hölle (französische Technik, englisches Essen und deutscher Humor) erinnern. Schlimm inzwischen auch die immer zahlreicher werdenden Kabarettisten, die ihre eigenen politischen Ansichten witzlos als angebliche Satire verkaufen, während ein Silbereisen als pure Realsatire daherkommt.
Da fragt man sich mancher, was die eigentlich mit den mehr als acht Milliarden machen? Sie gehen vermutlich zu einem großen Teil an die privaten Produktionsfirmen der vielen TV-Stars wie Jauch oder neuerdings auch Judith Rakers, deren Produktionen sicher gut bezahlt werden. Der NDR gibt jährlich genau soviel Geld für Löhne und Gehälter in den Funkhäusern aus wie für Produktionsankäufe, nämlich jeweils rund 270 Millionen Euro.
Aber was können wir dagegen machen?
Vielleicht sollten wir alle die eine oder andere Monatsgebühr verweigern, mit dem Hinweis, dass wir einen Teil des angebotenen Programms schon früher bezahlt haben.

Verfasst von: Reiner Langwald | 21. Februar 2024

Assmann hat Religionen entlarvt

Jan Assmann, der kürzlich verstorbene gebürtige Langelsheimer, war einer der bedeutendsten Geisteswissenschaftler unserer Zeit. Er hat als wissenschaftlich untermauerte These verkündet, was schon seit Jahrtausenden unübersehbar war: Der absolute alleinige Wahrheitsanspruch aller monotheistischen Religionen hat der Menschheit bis in unsere Zeit vor allem viel Gewalt und Kriege gebracht. Die drei Religionen Judentum, Christentum und Islam sind auf Erzählungen entstanden, für die deren Erzähler nur immer einen Zeugen für eine Offenbarung bringen konnten, sich selbst. Judentum und Christentum haben inzwischen ihren Anspruch, im Besitz der alleinigen Wahrheit zu sein, zwar hier und da relativiert. Aber die Kriege im Nahen Osten werden nicht nur von der Überzeugung der Muslime befeuert, dass der Koran die letzte offenbarte und allein gültige Wahrheit sei. Zur historischen Wahrheit gehört auch, dass die meisten Glaubenskrieger, Herrscher und auch viele Aufrührer die Religionen bis heute nur für ihre eigenen Machtgelüste benutzt haben, und noch immer missbrauchen. Zu ihnen gehören beispielsweise die Mullahs im Iran und die luxuriös im Ausland lebenden Hamasführer. Sie lassen immer andere Gläubige für sich kämpfen. Selbst ein ehemaliger Kommunist wie Putin nutzt jetzt den Einfluss der orthodoxen Kirche für seine imperialistischen Machtansprüche.

Religionen sollten, streng vom Staat getrennt, zur reinen Privatsache gemacht und jeder Missionsanspruch unterbunden werden. Jeder darf glauben was er will, aber er soll andere damit nicht behelligen. Und schon gar nicht sollten seltsame Glaubensregeln wichtiger sein als unsere Gesetze und allgemeinen Regeln des Zusammenlebens.

Verfasst von: Reiner Langwald | 18. Februar 2024

Fragen zum Krieg gegen die Ukraine

Warum erklärt unsere Regierung eigentlich nicht ihre wirkliche Haltung zum Krieg in der Ukraine. Klar, Deutschland ist, wie Scholz immer betont, zweitgrößter Geldgeber und Waffenlieferant. Aber der Ukraine hilft das bislang nur gerade so, dass sie gegen den immer mehr aufrüstenden Aggressor Russland nicht gleich untergeht. Für einen Sieg reicht die Hilfe jedenfalls vorne und hinten nicht: Alles kommt zu spät und nicht in der erforderlichen Art oder Menge. Dabei wären Deutschland und manch anderes europäisches Land durchaus in der Lage, den bemitleidenswerten ukrainischen Streitkräften wenigstens soviel Munition und Waffen zu liefern, dass diese sich die russischen Landräuber wenigsten einigermaßen vom Leibe halten oder sie sogar aus ihrem Land vertreiben könnten – auch wenn es für uns einige finanzielle oder wirtschaftliche Opfer bedeuten würde.
Beispiel Taurus-Marschflugkörper: Russland schießt massenhaft Raketen auf ein fremdes Land, zerstört dessen Lebensgrundlagen und tötet Menschen. Und wir verkaufen der Ukraine keine Waffen, die wenigstens bis zur Krim reichen, die ja sogar zu ihr gehört.
Warum also helfen wir nicht richtig? Glaubt unsere Regierung noch immer nicht, dass Putin nach einem Sieg auch weiter nach Westen marschieren würde? Der Mann lebt doch in einer imperial geprägten Weltsicht des 19. und 20. Jahrhunderts. Sein kürzlicher Ausspruch „die Grenzen Russlands enden nirgendwo“ sagt doch alles. Für ihn gehört offenbar jeder Landstrich, der in der Vergangenheit jemals von russischen Truppen besetzt war, immer noch zum russischen Herrschaftsbereich, der zurückgeholt werden muss. Und seine Menschen verachtende Art der Kriegsführung zeigt, dass Menschen ihm dabei nichts bedeuten, nicht mal die Menschen seines Landes.
Warum also helfen wir Europäer den Ukrainern nicht so, dass Russland keine Chance auf einen Sieg hat? Geldmangel ist es nicht. Es kann ja sein, dass unsere Regierung ganz überzeugende strategische Gründe für ihre Haltung hat. Aber warum will sie nicht mit uns darüber reden? Damit Putin nicht weiss wie wir denken? Das glaubt dieser doch längst zu wissen und es ist ihm im Grunde auch völlig egal. Denn er hält unsere von Nationalinteressen geprägte europäische Gemeinschaft und vermutlich auch die Nato für zu schwach, um ihm langfristig widerstehen zu können. Und so unrecht hat er offenbar nicht?

Verfasst von: Reiner Langwald | 9. Dezember 2023

Bildungsmisere war für Scholz kein Thema

Der in Berlin so euphorische Applaus für Scholz erinnerte mich an jenen Parteitag, bei dem Martin Schulz einstimmig zum späteren Wahlverlierer gewählt worden ist. Angesichts der SPD-Umfragewerte von 14 Prozent ist zu befürchten, dass dem Kanzler ein ähnliches Schicksal droht. Scholz hat zwar eine erfreulich lebhaft vorgetragene einstündige Rede gehalten. Aber sie war wiedermal so allgemein gehalten, das jeder im Saal sich bestätigt fühlen konnte. Er arbeitete dabei neben Gaza- und Ukrainekrieg jene Standardthemen ab, die wir schon aus seinem Wahlprogramm Zukunft von 2021 kannten. Die aktuelle Bildungsmisere in Deutschland erwähnte er wie auch damals mit keinen Wort.
Wie fremd der SPD dieses Thema noch immer ist, lehrt ein Blick auf ihre Webseiten. Auf das Suchwort „Bildung“ erscheinen ein Foto des Wahlverlierers Schulz und der von der Partei schließlich ebenfalls geschasste Vorsitzende Sigmar Gabriel mit einer Aussage aus 2016: Die SPD sei eine Bildungspartei, sie habe mehr als 9 Milliarden Euro zusätzliche Investitionen in Bildung durchgesetzt – für Krippen, Kitas und Hochschulen. Doch das reiche ihr nicht. Die SPD wolle mehr Erzieher, Sozialpädagogen und Lehrkräfte einstellen. „Was wir brauchen, ist eine bildungspolitische Wende“, sagte Sigmar Gabriel. Gut gebrüllt Löwe, aber die letzten Pisa-Ergebnisse zeigen, dass diese Wende ausgeblieben ist.
Warum deutsche Kinder immer schlechter rechnen, lesen und schreiben können, wird bei der SPD natürlich nicht hinterfragt, weil bei ehrlichen Antworten auch die SPD-Ministerpräsidenten in vielen Bundesländern nicht gut aussehen würden. Eine ehrliche Antwort müsste nämlich lauten: Verantwortlich für die Bildungsmisere sind die seit Jahrzehnten zu geringe politische Priorität des Bildungswesens und der chaotische Bildungsförderalismus. Und das gilt für alle 16 Bundesländer.
Die mit hinterhältigem Timing am selben Tag vorgetragene Forderung der FDP-Ministerin Stark-Watzinger nach weniger Länderzuständigkeit im Bildungswesen und einer entsprechenden Grundgesetzesänderung wird ihren Chef Scholz aber kaum ärgern, das Thema ist ihm einfach zu fern.

Verfasst von: Reiner Langwald | 5. Oktober 2023

Warum wird Scholz nicht verstanden?

Verfasst von: Reiner Langwald | 29. April 2021

Nicht ganz dicht?

Die Aktion #allesdichtmachen einiger Künstler war angeblich ironisch oder gar satirisch gemeint. Aber ein Satz ihres Initiators Dietrich Brüggemann entlarvt zumindest ihn als dummen Leerdenker: „Das was wir mit Corona machen, können wir mit allem machen. Wir können den Autoverkehr komplett einstellen, dann haben wir keine Verkehrstoten mehr.“ Soll wohl heißen, dass die Pandemie sich durch die verordneten oder angeratenen Einschränkungen und Verhaltensregeln nicht stoppen lässt.

Ein einfacher Blick auf die Zahlen zeigt wie dumm und gewissenlos der Tatort-Regisseur hier daher redet: Im gesamten Jahr 2020 fuhren auf Deutschlands Straßen knapp 66 Mio. Fahrzeuge und es gab 2,27 Millionen Unfälle mit 2780 Todesopfern, so viele wie jetzt innerhalb von zwei Wochen an Corona sterben. Ohne Freiheitsbeschränkungen wären es ganz sicher noch sehr viel mehr.

Brüggemann will keine Einschränkungen der persönlichen Freiheiten, weil sie ihm wichtiger sind, als die Gesundheit und das Lebens vieler tausender Menschen. Die persönliche Freiheit endet aber an den Grundrechten der Mitmenschen, auch an deren Recht auf Gesundheit und Leben. Gerade die Entwicklung in Brüggemanns Beispiel Straßenverkehr beweist, dass Vernunft und strikte Regeln tausende von Menschenleben gerettet haben.

Ich habe im Jahre 1970 die PR-Konzeptionen mitgestaltet, mit denen Bundesverkehrsminister Georg Leber (SPD) und der Deutsche Verkehrssicherheitsrat die erschreckend hohe Zahl von mehr als 21.000 jährlichen Verkehrstoten drastisch senken wollten. So viele Tote waren 1970 bei 1,39 Mio. Unfällen zu beklagen. Damals fuhren auf deutschen Straßen rund 14 Mio. Autos, heute sind es viermal so viele und doch starben 2020 „nur“ 2780 Menschen im Straßenverkehr, also über 17.000 Menschen weniger als 1970. Dies alles dank der seither verfügten Freiheitsbeschränkungen für Autofahrer wie Gurtpflicht, Airbag, Geschwindigkeitsbeschränkungen, radikale Senkung der Promillegrenze auf 0,8 und die neue europäisierte Straßenverkehrsordnung. Parallel dazu entwickelten die Autorhersteller auch wegen des staatlichen Drucks immer sicherere Fahrzeuge. So wurde in den letzten fünfzig Jahren, statisch geschätzt, eine halbe Millionen Todesopfer auf unseren Straßen vermieden.

Dieser Vergleich läßt den Zynismus ahnen, mit dem Brüggemann auf seine Freiheiten pocht. Er tut es auf Kosten von Leben und Gesundheit vieler tausender Menschen die auch dank der Unvernunft vieler Mitmenschen noch an Corona sterben werden. Immanuel Kant hat zwar gehofft, dass Vernunft und der mutige Gebrauch des eigenen Verstandes zu einer idealen Gesellschaft führen könnten, aber sein Kategorischer Imperativ bleibt Utopie, solange Menschen ihre eigene Freiheit höher bewerten, als die ihrer Mitmenschen. Fazit: Die Aktion #alles dichtmachen zeigt vor allem, das Brüggemann und seine Mitmacher nicht ganz dicht sein können.

Verfasst von: Reiner Langwald | 5. Dezember 2019

Quo vadis SPD?

Nach dem SPD-Mitgliederentscheid ringen Politiker, Journalisten und Lobbyisten in der Berliner Politblase noch immer um Fassung. Sie haben noch nicht begriffen, was da in der ältesten und verdienstvollsten deutschen Partei passiert ist. Das bestätigte Anne Will, die sich dank ihres Sendeplatzes als erste Talkmasterin dem Thema widmen musste. Sie hackte stur immer wieder auf der Groko-Frage herum, statt stärker nach den Motiven für dieses klare Abstimmungsergebnis zu fragen.
Diese Motive sind aus der Sicht eines einfachen Mitglieds ziemlich klar. Vordergründig war es ein sachlich begründeter, aber oft auch noch emotionaler Vorbehalt gegen Olaf Scholz. Wer dessen Parteikarriere verfolgt hat, wird ihn nicht gerade für den solidarischsten Mitstreiter im Vorstand halten. Zu oft hat er sich eigensüchtige mediale Grätschen oder gar Intrigen gegen Mitgenossen wie Gabriel, Schulz oder Heil geleistet. Und bemerkenswert ist auch, dass er bei seinen Bewerbungsauftritten im Vorsitz-Wahlkampf immer wieder betonte „Ich bin ein Sozialdemokrat!“. Da sagt der normale Genosse: „Wer‘s nötig hat!“.
Der häufichste und wichtigste Vorbehalt aber lautet: Wer seit zwei Jahrzehnten die Partei mitentscheidend in den katastrophalen Abstieg geführt hat, aber immer so tut, als hätte er damit nichts zu tun, ist keine Option für die Zukunft. Schon gar nicht, wenn er versucht ein besserer Schäuble zu sein. Für das neue Vorstandspaar bedeutet diess aber, dass viele Genossen nicht für sie, sondern gegen Scholz gestimmt haben. Sich das einzugestehen, hilft ihnen sicher bei der Selbsteinschätzung.
Vor allem aber will die Basis endlich eine Führung, die nicht nur im mühsamen Kleinklein der Tagespolitik um kleine Siege kämpft, sondern eine profilierende langfristige Zielvorstellung ihrer Politik entwickelt. Nur so kann die Partei den Bürgern darstellen, wie angesichts der fundamentalen gesellschaftlichen und technologischen Umbrüche eine lebenswerte gerechte Gesellschaft in der zweiten Jahrhunderthälfte aussehen muss. Dazu braucht es eine klare und konkrete Zielbeschreibung und eine daran ausgerichtete politische Strategie. Und an dieser Strategieleitlinie muss sich auch die Tagespolitik orientieren. Nur dann wird deutlich, was die SPD eigentlich wie erreichen will.
Damit ist auch die Frage nach dem Schicksal der Groko zweitrangig. Die SPD sollte bis zu den nächsten Wahlen in der Regierung so viel wie möglich sozialdemokratische Politik umsetzen und dabei immer klarmachen, was nach ihrer Ansicht in den nächsten Jahrzehnten bewältigt werden muss: ein viel besseres und gerechteres Bildungssystem, eine diesem Land würdige Infrastruktur der allgemeinen Daseinsfürsorge, ein zeitgemäßes, klimarettendes und überschaubares neues Steuersystem, in dem die für die Daseinsvorsorge hauptsächlich zuständigen Kommunen einen größeren Anteil der Steuern erhalten, stärker angeglichene Lebensverhältnisse im ganzen Land und massive Forschungsförderung, um Deutschland technologisch wieder an die Spitze zu bringen. Und vor allem muss sie eine Gesellschaft konzipieren, in der alle nach der digitalen Revolution einen lebenswerten Platz finden. Wenn die SPD so groß und weit nach vorn denkt und agiert, kann sie hoffen, irgendwann auch ohne eine mühselige Koalition mit konservativen Parteien unser Land gestalten zu können.

Verfasst von: Reiner Langwald | 4. Mai 2019

Kevin ist nicht allein im SPD-Haus

Kevin allein zuhaus? Sicher nicht, denn Kühnert hat mit seinen gewiss überspitzten Forderungen das für viele Mitglieder wichtigste Grundproblem der SPD endlich in den Vordergrund gezerrt: „Wie soll im Zeitalter von Globalisierung und Digitalisierung eine gerechtere Gesellschaft aussehen?“ BMW zu verstaatlichen ist natürlich keine Option. Aber über die Frage, ob die von BMW und anderen Konzernen erwirtschafteten Gewinne so überdimensional dem Kapital und nicht den mindestens ebenso beteiligten Beschäftigten zufließen, hätte eine Partei wie die SPD schon lange ernsthaft nachdenken müssen. Genauso wie über Geschäftsmodelle, die nur auf der Basis von Minilöhnen und prekären Arbeitsverhältnissen rentierlich sind. Oder: Wie soll langfristig das Verhältnis zwischen der Künstlichen Intelligenz und den Menschen aussehen?

Alle Spitzengenossen die wie Sigmar Gabriel, Johannes Kahrs oder Olaf Scholz in trauter Gemeinschaft mit den CSU-Wadenbeissern Scheuer und Dobrindt auf den Juso-Vorsitzenden eindreschen, haben seit dem 12 Jahre alten Hamburger Programm so gut wie keinen wirklich tragenden Gedanken zu unseren großen Zukunftsproblemen von sich gegeben; von einem programmatischen Zukunftsentwurf der Partei ganz zu schweigen. Und die äußere wie innere Erneuerung, die der SPD das hierfür überzeugende Profil verschaffen sollte, droht zur Aktion Kummerkasten zu verkümmern. Die Basis hat deshalb schon weitgehend resigniert und die Spitze in Berlin tut weiter so, als habe sie mit dem Abstieg der SPD zur 15-Prozent-Partei nichts zu tun – höhere Gewalt eben.

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